Am 18. Januar 1807 reiste Fürstin Pauline zur Lippe durch die Börde. Die hohe Dame führte ein Reisetagebuch und notierte über den Desenberg: “Er verschönert die allgemein angenehme Gegend und fesselte unsere Blicke dauernd”.
Ein schöneres Kompliment, dem wir alle uns sicherlich gern anschließen, kann man ja eigentlich nicht machen. Aber dahinter steckt noch mehr. Das Zitat zeigt, welche Bedeutung zumindest ein Teil der Gesellschaft dem Berg zu Beginn des 19. Jahrhunderts beimaß: Er ist jetzt eine Zierde, er ist dekorativ im positiven Sinne des Wortes, ein ästhetisches Phänomen.
Bei näherer Betrachtung ist es tatsächlich so, dass den Menschen der Berg im Laufe der Zeit, und damit meine ich Jahrtausende, anscheinend immer etwas anderes bedeutet hat. Und von diesem Gesichtspunkt haben wir uns auch ein wenig bei der Planung der Ausstellung leiten lassen.
Wenn ich vorhin sagte, über die vor- und frühgeschichtliche Funktion des Berges wissen wir nichts Sicheres, dann ist das zu einem nicht geringen Teil auch auf die mittelalterliche Bedeutung des Berges zurückzuführen. Spätestens im 11. Jahrhundert erhebt sich dort oben die erste Burg, und im Laufe der Jahrhunderte wird so fleißig gebaut und so häufig gekämpft und zerstört, dass alle Spuren aus früheren Epochen längst verschwunden sind.
Jetzt ist der Adel auf der Bergeshöhe zu Hause. Die Herren wechseln, die Bedeutung bleibt: Der Desenberg ist ein wichtiger militärischer Stützpunkt, mit dem bald ein Name fest verknüpft ist bis heute: Von Spiegel. Den Herren von Spiegel boten Berg und Burg spätestens ab 1256 in erster Linie eines: Schutz und Macht.
Wie diese Burg im 15. Jahrhundert ausgesehen hat, davon vermittelt Ihnen die virtuelle Rekonstruktion, die wir dem Westfälischen Museum für Archäologie verdanken, einen Eindruck.
Was allerdings mögen die Bauern aus Daseburg, Körbecke und Bühne gedacht haben, wenn sie von der Arbeit zum Berg aufblickten? Lassen Sie mich ein wenig spekulieren: Da sitzen die Herren, für die wir arbeiten müssen und deren Feinde unsere Dörfer verbrennen in Konflikten, mit denen wir kleinen Leute überhaupt nichts zu tun haben.
Doch die Zeiten ändern sich, und es ändert sich auch wieder die Bedeutung des Berges: Ritter und Burgen braucht man im 16. Jahrhundert nicht mehr, das Leben auf der Höhe ist alles andere angenehm und so gar nicht romantisch, die Familie von Spiegel verlässt die Burg und siedelt sich in der Ebene an.
Berg und Burg werden nun historisch. Am deutlichsten wird das am Beispiel Ferdinand von Fürstenbergs. Der Kulturmäzen und Gelehrte auf dem Paderborner Bischofsstuhl war es, der den Berg im 17. Jahrhundert in einer gelehrten Abhandlung deutlich ins Bewußtsein der gebildeten Welt rief, der ihm ein in vornehmen lateinischen Versen gehaltenes Gedicht widmete und der ihn malen und in Kupfer stechen ließ.
Das 18. Jahrhundert ist für unsere Region insbesondere durch ein Ereignis geprägt: Den Siebenjährigen Krieg mit seiner schrecklichen Schlacht bei Warburg. Und man kann sich schon denken, welche Bedeutung der Berg hat. Dort oben wird eine Artilleriestellung eingerichtet. Ansonsten ist es still um den Berg. Am Ende des Jahrhunderts macht sich eine Delegation von Daseburger Bauern auf den Weg nach Bühne zum Herrn von Spiegel. Sie wollen von ihm die Erlaubnis erbitten, die Steine der Burgruine für die Ausbesserung der Wege nutzen zu dürfen. Die Burg hat Glück: Der Herr ist nicht zu Haus und ein zweiter Vorstoß wird anscheinend nicht mehr unternommen.
Dann bricht das 19. Jahrhundert heran: Der Desenberg steht nun im Zeichen patriotischer Begeisterung und vaterländischer Gefühle: Wussten Sie, dass das Lied, das sie vorhin hörten, von einem Warburger Freizeitliteraten verfasst wurde und dass der erste Warburger Männerchor diese Strophen anlässlich des Desenbergfestes 1840 schmetterte? Dieses Fest war nicht nur ein gesellig-gesellschaftliches Ereignis, es hatte einen festen zeitbestimmten politischen Hintergrund. Die Burgruinen und der Berg erinnern aus der Sicht des 19. Jahrhunderts an vergangene nationale Größe und Macht und eröffnen so eine Perspektive: Vielleicht wird es ja noch einmal so sein. Die Vergrößerung des Aquarells von Gehrken von 1798, die Sie auf der rechten Seite sehen, deutet diese Tendenz mit dem darin schlummernden Pathos bereits frühzeitig an, machen die Ruinen aber auch zur Verkörperung des bekannten “Sic transit gloria mundi – so geht der Ruhm der Welt zugrunde”…
Wäre es nach einigen örtlichen Honoratioren gegangen, dann hätte sich im Jahr 1841 der Desenberg in eine riesige Baustelle verwandelt und das Warburger Land hätte eine Sehenswürdigkeit mehr und eine Burgruine weniger. Zumindest einige dachten nämlich ernsthaft darüber nach, dort oben ein Denkmal für den preußischen König zu bauen. Daraus ist dann doch nichts geworden, warum ist nicht ganz klar. Aus meiner Sicht: Die politische Stimmungslage in Westfalen war zu diesem Zeitpunkt alles andere als preußenfreundlich,
Im 19. Jahrhundert deutet sich aber auch das schon an, was der Berg heute vielen bedeutet: Er ist eine Sehenswürdigkeit. Es waren die beiden Literaten Levin Schücking und Ferdinand Freiligrath, die den Desenberg in ihr berühmtes Reisebuch “Das malerische und romantische Westphalen” aufnahmen.
Allerdings: Reisen zum Vergnügen, zur Erholung, zur Bildung lag für die meisten noch jenseits aller Möglichkeiten. Gleichwohl: In Warburg sah man den Berg schon im frühen 20. Jahrhundert auch als möglichen Magnet für Reisefreudige und Geschichtsinteressierte. Das machen die ersten Reiseführer hier für die Region deutlich.
Erst lange nach dem Zweiten Weltkrieg bemüht man sich dann mit Erfolg darum, den Berg für Touristen attraktiver zu machen. Und man widmet ihm nun ernstes wissenschaftliches Interesse. Und man sah auch noch eine andere, bislang wenig beachtete Seite: Er wird zum Naturschutzgebiet erklärt. Seine Karriere als Skigebiet nach 1970 war allerdings nur von kurzer Dauer.
Doch noch einmal zurück ins 19. Jahrhundert. Schon damals war das Interesse von Künstlern am Desenberg als Motiv vorhanden. Im 20. Jahrhundert und in der Gegenwart scheint es dann kaum einen professionellen Künstler und kaum einen Freizeitmaler aus der Region zu geben, der nicht von diesem Motiv fasziniert wäre. Einen ersten Eindruck erhalten Sie im Blick auf die ungeheure Vielfalt der Desenbergbilder in der Etage unter uns. Leicht hätten wir das Vielfache zeigen können, hätte uns der Raum zur Verfügung gestanden. Auf den Desenberg in der Kunst will ich hier nicht näher eingehen. Das ist ein weites Feld und das bleibt in einer gesonderten Veranstaltung Herrn Bialas vorbehalten, der sich mit der ihm eigenen und von uns so geschätzten Akribie und Sorgfalt in das Thema eingearbeitet hat und Ihnen seine Ergebnisse schon in der kommenden Woche näher bringen wird.
Als Resümee bleibt: Diese Ausstellung möchte so etwas wie der Ansatz einer bedeutungsorientierten Biographie des Berges sein, sie soll den sich wandelnden Blick der Menschen auf den Berg wieder spiegeln und seine wechselnde Bedeutung skizzieren und sie soll Ihnen allen Spaß machen.
Eines ist aber sicherlich seit Jahrhunderten jenseits allen Wandels gleich: Der Anblick des Berges bedeutet: „Hier bin ich Zuhause.“ Der Berg ist ein fast übermächtiges, zumindest aber unübersehbares Symbol für Heimat. Wenn der Warburger Kaufmann im Mittelalter von einer langen Geschäftsreise zurückkehrte oder wenn man heute nach einem langen Aufenthalt außerhalb in die Börde zurückfindet: Sieht man den Desenberg, weiß man, dass man wieder zu Haus ist.
Wenn wir ehrlich sind, haben fast alle von uns ein sehr emotionales Verhältnis zu dieser Landmarke, und das ist auch gut so, weil es ihr nützt.
Neulich fragte ich jemanden: “Was bedeutet für Sie der Desenberg?” Die Antwort: “Er ist ein Teil meiner Heimat. Mindestens einmal im Jahr besuchen wir ihn. Und er war vor mir da, und er wird nach mir auch noch da sein.” Nur zu wahr: Der Desenberg ist die große unerschütterliche Konstante, die älter und beständiger ist als wir und als vieles anderes um uns herum. Nachdenken über den Desenberg lohnt sich auch in dieser Hinsicht.
Beginnen wir in der Altsteinzeit. Zu diesem Zeitpunkt ist der Berg schon Millionen Jahre alt. Und irgendwann bekommt er dann den ersten menschlichen Besuch. Jäger und Sammler lassen sich auf seiner Sonnenseite nieder. Sie halten von hier aus Ausschau, um den Weg zu finden und nach Beute zu spähen. Dann ziehen sie weiter.
Es vergehen wieder Tausend von Jahren, bis wir ganz sicher sagen können, dass erneut Menschen den Berg besuchen. Von Süden ziehen Bauern heran, auf der Suche nach neuen fruchtbaren Äckern. Und den besten Boden weit und breit finden sie zu Füßen des Desenberges. Seitdem hat der Berg konstant menschliche Gesellschaft., die ihn mehr oder minder strapaziert.
Ob in der vor- und frühgeschichtlichen Epoche der Berg einfach nur da war oder ob sich hier oben ein Heiligtum oder eine Befestigung befand, wir können es nicht sagen. In den Spekulationen über die Entstehung des Namens spielt etwas davon mit. Die volkstümliche Überlieferung besagt: Diesen oder Dasen, halbgöttlichen Wesen, die dem germanischen Gott Wodan verbunden waren, soll man hier Opfer gebracht haben.